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Kinderpornos - aber korrekte Zahlen

Die Argumentation zu Internetsperren und deren Dringlichkeit stützt sich in erster Linie auf erschreckende Zahlen.
Wie anderswo vielfach belegt wurde, sollten die Zahlen der Frau von der Leyen und vor allem deren Interpretation durch die Familienministerin mit Vorsicht genossen werden.

Eine der Aussagen, die mich bestürzt gemacht haben, war folgende, die Frau von der Leyen immer wieder machte:

"Die bittere Wahrheit ist, dass bisher nur die Hälfte der Länder Kinderpornographie ächtet. Das heißt, die andere Hälfte toleriert sie"

nachzulesen u. a. hier
Ein bitteres Armutszeugnis für die Menschheit, nicht wahr!? - Also wollte ich wissen, welche Länder zum Kreis dieser Schurkenstaaten zählen und suchte die Quelle dieser Aussage: Das ICMEC (International Center for Missing and Exploited Children) veröffentlichte im Jahr 2006 eine Studie, die die Rechtslage zum Thema Kinderpornografie in den (damals) 184 Interpol Mitgliedsländern zum Inhalt hatte und seither oft und gerne zitiert wird.
Das ICMEC kommt darin zu dem Ergebnis, dass es in 95 dieser Länder keine Gesetze gegen Kinderpornografie gibt. Allerdings ist die Fragestellung zu beachten: "Gibt es Gesetze, die explizit die Pornografie mit Kindern unter Strafe stellen?"
In der Interpretation (bereits bei den Urhebern der Studie) wird daraus allerdings abgeleitet, dass "in 95 Ländern Kinderpornografie legal ist".

So erklärt es sich wohl, dass selbst ein Land wie Iran in die Liste der 95 KiPo-Staaten geriet.

Zur Info: Im Iran gilt die Scharia, also das islamische Recht unter Berücksichtigung all' dessen, was der Koran und die Nachsätze des Propheten als Frevel oder Sünde bezeichnet. - Die teils martialischen Bestrafungen für Verstöße dagegen finden bei uns regelmäß den Weg in die Schlagzeilen.
Nun untersagt der Islam aber jegliche Nacktheit, bspw. hat ein Bauarbeiter, der an einem heißen Arbeitstag sein Hemd auszieht und mit freiem Oberkörper arbeitet, bereits eine Sünde begangen und könnte dafür belangt werden.
In einem Land also, wo bereits Bilder, wie man sie bei uns aus Zeitschriften wie Brigitte, Freundin oder Cosmopolitan kennt, als schwer pornografisch und moralisch verwerflich angesehen werden, was würde dort wohl passieren, wenn man einer iranischen Behörde oder einem iranischen Internet-Provider Meldung über Kinderpornografie in deren Einflussbereich erstattete?

Was macht Indonesien auf der Liste?

Das Land, das erst kürzlich wegen Prüderie Schlagzeilen machte, als im vergangenen Herbst (2008) sämtliche Tourismusverbände des Badeparadieses Bali auf die Barrikaden gingen, weil das Tragen von Bikinis als pornografische Zurschaustellung unter Strafe gestellt wurde? Die Proteste waren erfolgreich: Fürs Bikini-Tragen an Touristenstränden auf Bail wurde im Gesetz eine Ausnahme definiert, aber in den restlichen Teilen des Landes ist es strafbar!

Derart prominente Fehleinträge in einer Liste angeblicher Kinderporno-Schurkenstaaten, die die Politik zum Anlass nehmen möchte, unsere Grundrechte zu beschneiden, weil ja angeblich internationale Strafverfolgung (und Löschung der entsprechenden Inhalte auf den Servern vor Ort) in der Hälfte aller Länder nicht möglich sei?
Das wollte ich genauer wissen.

Recherche

Ich suchte nach Antwort auf eine naheliegende Frage bzgl. dieser "Liste der 95":

Wo gibt es keine Gesetze gegen Kinderpornografie, weil Pornografie generell verboten ist?


Um es kurz zu machen hier das Ergebnis meiner Recherche: Es verbleiben also 21 {12 sicher + 9 zweifelhaft} Länder für die die Aussage zutrifft, dass es dort derzeit keine rechtliche Handhabe zur Verfolgung und Löschung von Kinderpornografie gebe.
Darunter allerdings auch Länder wie Irak, Osttimor (Timor Leste), Chad oder Congo, die sich in Krieg, Bürgerkrieg, Anarchie oder verfassungsgebender Phase nach derlei Vorkommnissen befinden.
Die Zwischenfrage sei erlaubt: Wieviele Internet-Server stehen in diesen Ländern insgesamt? Wieviele der Server auf bekannt gewordenen Sperrlisten stehen in den Ländern Congo, Cote d'Ivoire, Democratic Republic of Congo, Haiti, Jamaica, Moldova, Mozambique, Nicaragua, Sao Tome & Principe, St. Lucia, St. Vincent & the Grenadines, Timor Leste?

Die Einzelaufstellung der Recherche findet sich weiter unten.

Vorgehensweise

Zum Zweck der Recherche habe ich unterschiedliche im Internet verfügbare Quellen genutzt, darunter die Länderinformationen des Auswärtigen Amts und des U.S. State Department, Tourist-Informationen oder Sites der Regierungen der entsprechenden Länder sowie die dortige Presse, soweit Information verfügbar waren. Bei den Pressemeldungen habe ich sowohl Boulevard- (Berichte über Verhaftungen wegen Pornobesitz o. ä.) wie auch politische Themen (Politiker-Interviews zu Gesetzesinitiativen o. ä.) recherchiert. Die Einfuhrbestimmungen internationaler Paketdienste sind nicht in das Ergebnis eingeflossen, da diese ihren Mitarbeitern generell den Verzicht auf das Mitführen von Material "obszöner Natur" nahelegen.
War ein direktes Auffinden solcher Quellen nicht möglich wurde zu deren Lokalisierung die Suchmaschine Google.com genutzt.
Es wurden nur Quellen genutzt, die in den Sprachen deutsch oder englisch vorlagen.
Die Zielrichtung der Recherche war, bedingt bereits in der Motivation, ein Nachweis, dass die 95 wenigstens teilweise zu unrecht von ICMEC und der Bundesregierung verunglimpft werden, da ein generelles Pornografie-Verbot eine weiter spezialisierte Gesetzgebung überflüssig mache - zumindest im Sinne international durchsetzbarer Löschvergügungen gegen Kinderpornografie.
Um das Ergebnis auch bei zum Teil erschwerter Fakten-(Findungs)lage neutral zu halten, mussten Desweiteren standen pro Land max. 10 Minuten für die Recherche zur Verfügung.
Waren nach Ablauf dieser Frist keine klaren Erkenntnisse gewonnen, wurden die Länder unter "keine Erkenntnis" (s. u.) verbucht.
Lag bei Ablauf dieser Frist wenigstens eine Quelle vor, die die Legalität von Pronografie bestätigte, wurde dieses als Beleg der Legalität von Pornografie gewertet.
Im Falle der Legalität von Pornografie wurde innerhalb der verbleibenden Frist geprüft, ob es inzwischen Quellen gibt, die die Existenz anwendbaren Rechts gegen Kinderpornografie anzeigen.
Ein Sonderfall in dieser Hinsicht ist Monaco, da dort die entsprechende Gesetzgebung Anfang Mai 2009 stattfand und Informationen darüber wann daraus anwendbares Recht wird, mir nicht verfügbar waren.

Falls ein Leser Informationen zu den "keine Erkenntnis"-Ländern einbringen kann oder Korrekturen an der Liste vorzunehmen sind, ist der Autor, Dirk Landau, unter der im Impressum angegebenen eMail-Adresse dankbar für Input.

en dêtail: voici la liste

Stand: 07. Mai 2009
LandPornografie generell legal?Kinderschutz (incl. KiPo) inzwischen vorhanden?
Afghanistanillegal
Albaniaillegal
Algeriaillegal
Angolaillegal
Antigua & Barbudaillegal
Azerbaijanlegalja
Bahamasillegal
Bahrainillegal
Bangladeshillegal
Belizeillegal
Beninillegal
Boliviaillegal
Botswanaillegal
Burkina Fasoillegal
Burundiillegal
Cambodiaillegal
Cameroonillegal
Central African Republic?keine Erkenntnis
Chad?keine Erkenntnis
Comorosillegal
Congolegal
Cote d'Ivoirelegal
Cubaillegal
Democratic Republic of Congolegal
Djiboutiillegal
Dominicaillegal
Egyptillegal
Equatorial Guinea?keine Erkenntnis
Eritreaillegal
Ethiopiaillegal
Fijiillegal
Gabonillegal
Ghanaillegal
Grenadaillegal
Guinea?keine Erkenntnis
Guinea Bissau?keine Erkenntnis
Guyanaillegal
Haitilegal
Indiaillegal
Indonesiaillegal
Iranillegal
Iraq?keine Erkenntnis
Jamaicalegal
Jordanillegal
Kenyaillegal
Kuwaitillegal
Laosillegal
Lebanonillegal
Lesothoillegal
Liberiaillegal
Libyaillegal
Malawiillegal
Malaysiaillegal
Maldivesillegal
Marshall Islands?keine Erkenntnis
Mauritaniaillegal
Moldovalegal
Monaco (KiPo-Gesetz seit 05/2009)legalja
Mongoliaillegal
Mozambiquelegal
Namibiaillegal
Nauruillegal
Netherlands Antillesillegal
Nicaragualegal
Nigerillegal
Nigeriaillegal
Omanillegal
Pakistanillegal
Rwandaillegal
Sao Tome & Principelegal
Saudi Arabiaillegal
Senegalillegal
Seychellesillegal
Sierra Leone?keine Erkenntnis
Singaporeillegal
Somaliaillegal
St. Kitts & Nevisillegal
St. Lucialegal
St. Vincent & the Grenadineslegal
Sudanillegal
Surinameillegal
Swazilandillegal
Syriaillegal
Thailandillegal
Timor Lestelegal
Togo?keine Erkenntnis
Trinidad & Tobagoillegal
Turkmenistanillegal
Ugandaillegal
United Arab Emiratesillegal
Uzbekistanlegalja
Vietnamillegal
Yemenillegal
Zambiaillegal
Zimbabweillegal

Nachsatz 1 - Inspiration

Die Recherche wurde inspiriert durch einen Eintrag bei Scusiblog, bei der Rochus Wessels einen Abgleich durchführte zwischen einer bekannt gewordenen Sperrliste und der rechtlichen Situation in den Ländern , in denen die in dieser Liste beanstandeten Server stehen. Das Ergebnis war, das alle beanstandeten Server von der Liste min. internationale Abkommen zur Bekämpfung von Kinderpornografie unterzeichnet hatten. Eine Sperrung der Server vor Ort und Löschung der Inhalte wäre so problemlos zu gewährleisten.
Meiner Meinung nach sollte allerdings ein Versuch der Lügen-Propaganda einer Frau von der Leyen den Wind aus den Segeln zu nehmen, nicht den Fehler begehen, in einem Atemzug die bekannten Sperrlisten einerseits zu diskreditieren andererseits zur Grundlage einer Falsifikation zu machen.
Daher gilt mein Ansatz der Widerlegung der oben zitierten Kernaussage der Lügen-Kampagne der Frau von der Leyen. (Ihr Vater wäre stolz auf sie)

Nachsatz 2 - Diplomatie?

Abenteuerlich finde ich im Zusammenhang mit der ICMEC-Liste und den Äusserungen eines Mitglieds der Bundesregierung allerdings auch, dass es 2006 anlässlich der Veröffentlichung einer Karikatur des Propheten Muhammad in der dänichen Zeitschrift Jyllands-Posten (2005) aus Reihen der deutschen Politik Verständnis für die Aufregung darüber in der muslimisch-arabischen Welt gab und der Jyllands-Posten mangelnde Sensibilität vorgeworfen wurde, sich aber, scheints, niemand daran stört, wenn Frau von der Leyen bei Betrachtung ihrer Aussage und deren Quellen tatsächlich behauptet, dass fast die gesamte muslimisch-arabische Welt der Verbreitung von Kinderpornografie Vorschub leiste.
Ich habe mich inzwischen per eMail bei den Botschaftern der entsprechenden Länder für mein Land entschuldigt.
Vielleicht sollten wir das alle tun: Nicht, dass demnächst schwarz-rot-goldene Flaggen vor deutschen Botschaften im Maghreb in Flammen aufgehen.

Nachsatz 3 - Song

Nettes Liedchen zum Thema (für Elektrofans ;-D): K-ra-wall, Grundrechtseingriff

Nachsatz 4 - SPD harrharr

Dass sich die SPD dann als Retter der Grundrechte aufspielt, entbehrt jeder Grundlage: Immerhin kam das mit der Echtzeitübermittlung an Strafverfolgungsbehörden und der Anfangsverdacht gegen Zufallsstoppseitenaufrufer erst nachträglich durch das BMJ in den Gesetzentwurf. Und wem untersteht das BMJ? Richtig, der "Internetpolikerin des Jahres" Brigitte Zypries, die ja bekanntlich zur, wieder richig!, SPD gehört.

Nachsatz 5 - Viral?

Vielen Dank für's neuerliche Verlinken - ich war schon geneigt, zu glauben, das interessiere niemanden

Nachsatz 6 - Wissenschaft? (Ergänzung aus gegebenem Anlass [07.07.2009])

Auch wenn es sich hier um keine wissenschaftliche rechtsvergleichende Studie zur Strafbarkeit von Kinderpornographie in anderen Ländern handelt: Da das Familienministerium selbst darauf hinweist, über keine solchen Studien zu verfügen, woher kommt dann "die Hälfte" von der Frau von der Leyen immer redet? - Siehste! (Aber inzwischen - wohlweislich nach Verabschiedung des Gesetzes - sind es ja laut Bmfsfj immerhin schon 160 Länder, in denen KiPo illegal ist)

Nachsatz 7 - DJV wegbleiben

Liebe Hofberichterstatter "Qualitätsjournalisten", so eine Recherche wie die hier wäre die Mindestanforderung an Euer Handeln gewesen, also verp.... Euch und macht endlich mal wieder Euren Job richtig!
Für wirklichen Journalismus, den Ihr ja nicht mehr liefert, gäbe es sehr wahrscheinlich funktionierende Geschäftsmodelle, die das von Euch gefordete staatlich verordnete Grundeinkommen überflüssig machen würden.
Viele Konjunktive, gelle? - Denkt mal drüber nach!